Nutzerorientierte Ausrichtung des Urheberrechts?

Der Hamburger Justizsenator Dr. Till Steffen machte schon im März mit dem Diskussionspapier „Nutzerorientierte Ausrichtung des Urheberrechts“ auf sich aufmerksam. Nun möchte ich mich hier mit diesem endlich einmal näher beschäftigen.

Der Auffassung des Justizsenators nach steckt das Urheberrecht in einer Krise, es leide unter einem grundlegenden Akzeptanzverlust bei einer ganzen Generation. Zurückzuführen sei dies auf die erheblichen geänderten tatsächlichen Umstände, namentlich die digitale Revolution, die bei der Entstehung des Urhebergesetzes (UrhG) nicht absehbar gewesen seien.

Dr. Till Steffen vertritt die Meinung, die Rechtspolitik müsse hierauf reagieren und mit dem geschriebenen Recht einen angemessenen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Urheber, der Verwerter und der Nutzer finden.

An sich keine schlechte Idee, aber

Worum geht es hier eigentlich?

Wer kennt ihn nicht, den Freund oder Bekannten, dem eine Abmahnung ins Haus kam, weil er einen Musiktitel in einer Tauschbörse runter- oder hochgeladen oder ein Computerspiel digital getauscht oder das Bild eines Herstellers bei Ebay in der Privatanzeige benutzt hat. Das Entsetzen ist groß, da neben Anwaltsgebühren und Schadensersatz das Unterschreiben einer strafbewehrten Unterlassungserklärung gefordert wird. Schnell entsteht so eine „Rechnung“ über mehrerer Hundert Euro.

Es gibt auf der einen Seite also einen Nutzer, der gar nicht so recht weiß, was er eigentlich gemacht hat, das solch Forderungen rechtfertigt. Schließlich war es doch nur das eine Foto/Spiel/Bild und das kann für sich genommen doch gar nicht einen solch hohen Wert haben.

Auf der anderen steht der Urheber und/oder sein Verwerter, also ein Musikunternehmen, ein Fotograf oder ein Games Publisher. Dieser hat für das Werk (das Bild, das Spiel, das Foto) kreative Leistungen erbracht und/oder Investitionskosten getätigt, um es nach Schaffung der Leistung gegen eine Gegenleistung an den Markt und Menschen zu bringen. Der Urheber möchte sein Werk in der Regel bezahlt sehen. Dies ist nach dem Urhebergesetz bisher auch sein gutes Recht. Durch das Urheberrechtsgesetz erhält der Urheber als Rechtsinhaber das Recht, über die Nutzungsrechte an seinem Werk frei und ausschließlich zu disponieren, d.h. dem Urheber wird bis auf wenige Ausnahmen das Recht zugebilligt, zu entscheiden wer, wann, wie und wo über sein Werk, bzw. das Nutzungsrecht daran, verfügt. Wenn jemand rechtswidrig ein Werk „benutzt“, kann der Rechtsinhaber Unterlassung und Schadensersatz fordern. Diese Durchsetzung seiner Rechte erfolgt derzeit in der Regel über die Einschaltung von Rechtsanwälten, die gegen eine Gebühr mittels der sogenannten Abmahnung Schadensersatz und zeitgleich eine Unterlassungserklärung mit Strafbewehrung fordern.

Klar ist  vielen, dass Rechtsanwälte für ihre Tätigkeit Gebühren erheben. Unverständlich erscheint jedoch oftmals, dass hier – anders als bspw. im normalen Klagverfahren – der Rechtsverletzer sofort die Anwaltsgebühren des Auftraggebers, also des Verletzer, zu tragen hat. Ebenso wie im Wettbewerbsrecht ist dies gesetzlich normiert. (Vgl. § 97a Abs. 1 S. 2 UrhG). Der Grund hierfür ist, dass der Rechtsstreit zwischen Verletztem und Rechtsverletzer durch die Abmahnung außergerichtlich beigelegt werden soll. Und insoweit eben kein Richter am Ende darüber entscheidet, wer die Kosten des Verfahrens, also auch die Anwaltskosten, zu tragen hat. Deswegen wird der Verletzer zunächst „automatisch“ so gestellt, als sei er die unterlegene Partei in einem Prozess, welche grundsätzlich die Kosten zu tragen hat.

Gerade diese „Abmahnkosten“, in concreto die Gebühren der Anwälte, erregen die Gemüter. Sie gelten vielfach als zu hoch angesetzt und überhaupt als ungerechtfertigt. Vertritt eine Kanzlei einen Online-Gamespublisher oder die Musikindustrie und hat demgemäß viele Fälle von Urheberrechtsverletzungen vorliegen, kursieren im Internet schnell die Schlagzeilen „Vorsicht! Abmahnfalle! Abmahnanwälte! Abzocke! Wehrt Euch!“ [Dazu später mehr.]

Dabei agieren die Kanzlein zum einen im Auftrag der Urheber oder derjenigen, die die Nutzungs- und Verwertungsrechte halten. Zum anderen ist auch die Höhe der Gebühren durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und seit neuestem durch § 97a Abs. 2 UrhG für sogenannte „einfach gelagerte Fälle“ beschränkt.

Es besteht jedoch bei den Nutzern einerseits ein Akzeptanzproblem dahin, dass auch das einmalige Herunterladen oder zur Verfügung stellen eines urheberrechtlich geschützten Werkes eine Urheberrechtsverletzung darstellen kann. Andererseits besteht ein Akzeptanzproblem hinsichtlich der Zahlungsverpflichtung der Anwaltsgebühren. Alle bisherigen Bemühungen, z.B. durch Kino-Spots ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Urheberrechtsverletzungen auch im Internet wenigstens rechtswidrig, wenn nicht strafbar sind, sind nicht vom nötigen Erfolg gekrönt.

Das Diskussionspapier „Nutzerorientierte Ausrichtung des Urheberrechts“

An dieser Stelle hakt das Diskussionspapier von Dr. Till Steffen ein. Seiner Auffassung nach bedarf es wegen des hohen Akzeptanzverlustes in Bezug auf das Urheberrecht und die bestehenden Rechtsmittel (Abmahnung), einer Reform des Urheberrechts. Das bisherige Urheberrecht passe nicht mehr zu den technischen Gegebenheiten und Nutzungsgewohnheiten. Das individualistische Begründungsmodell des Urheberrechts, das nahezu ausschließlich auf den Urheber zugeschnitten ist, sei überholt. Schließlich habe der Nutzer durch die Digitalisierung selbst die Möglichkeit, Kopien ohne jeden Qualitätsverlust und nahe zu ohne Kosten herzustellen und dadurch bei Verwendung urheberrechtlich geschützter Inhalte selbst zum kreativen Kulturschaffenden zu werden. Steffen sieht hier bei unverhältnismäßiger Einschränkung der Rechte der Nutzer die Gefahr der Einschränkung von neuen innovativen Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen und damit die Gefahr einer Unterbindung des Wettbewerbs.

Während die Industrien der Urheber, also bspw. die Musik- aber auch die Verlagsindustrie (vgl. die Diskussion zu den Leistungsschutzrechten von Verlagen), eine weitere Ausweitung des Urheberrechts zu Gunsten von Urhebern und Verwertern fordert, denkt Dr. Till Steffen in die entgegengesetzte Richtung, er fordert ein das nutzer- und konsumorientierte Urheberrecht. Er kritisiert, dass der Nutzer nicht als Träger eigener Interessen im UrhG behandelt wird und somit kein gerechter Interessensausgleich bestehe. Wie oben schon angedeutet, bedeuten für Steffen die Exklusivrechte des Urhebers eine Behinderung von geistiger Auseinandersetzung, schließlich gehöre die Auseinandersetzung mit und Aufnahme von Anregungen aus fremden Werken zum Wesen geistig-schöpferischer Tätigkeit.

Letzlich möchte Dr. Till Steffen insbesondere hinsichtlich der folgenden Punkte eine breite Diskussion anstreben:

  • Umbenennung des Gesetzes in „Gesetz über Urheberrechte, verwandte Schutzrechte und Nutzungsfreiheiten“
  • Einführung einer Normzweckklausel „§ 1 Zweck des Gesetzes ‚Die Urheber von Werken […] sowie Werknutzende genießen Schutz nach Maßgabe dieses Gesetzes'“ mit entsprechender Änderung von § 11 UrhG.
  • Stärkung des Rechts auf Privatkopien
  • Reduktion des umfassenden Schutzes für „Alltagsfotografien“, insb. wenn die Bilder „allgemein zugänglich“ sind, da durch die technische Entwicklung solche Fotografien nicht mehr schützenswert seien.
  • Infragestellen der Dauer des urheberrechtlichen Schutzes (bisher: 70 Jahre post mortem)
  • Einführung einer „Kulturflatrate“ (zum Ausgleich der kostenfreien Privatnutzung von digitalisierten Werken)
  • Abwälzen der Kosten der ersten Mahnung auf den Rechteinhaber anstelle den Rechtsverletzer

Eine wirklich gute Idee?
Als ich das Diskussionspapier das erste Mal las, musste ich doch zunächst tief durchatmen. Denn auch wenn es sich nur um „Anregungen“ handeln soll und es noch weit von jeder Gesetzesinitiative entfernt ist, finde ich persönlich derartige Denkanstöße bedenklich. Zeugen sie jedenfalls meines persönlichen Erachtens nach davon, dass jemand, der sich das „Große und Ganze“ ansehen wollte, sich doch nur mit einer Seite genau befasst hat. Aber der Reihe nach:

1. Akzeptanzprobleme als Grundlage für Rechtsreformen?
Wenn reine Akzeptanzprobleme in Bezug auf ein Gesetz in der Bevölkerung eine Grundlage für Rechtsreformen und Gestaltungen der Rechtspolitik darstellen sollen, dann weiß ich nicht, wo noch Grenzen zu ziehen sein sollen. Hier ein etwas drastischer Vergleich:

Das Nutzen von urheberrechtlich geschützten Werken soll – jedenfalls für Privatpersonen – künftig deswegen rechtmäßig sein, weil das Downloaden oder File-Sharing ein in der Gesellschaft toleriertes und anerkanntes, also ein s.g. sozial-adäquates, Verhalten ist?

Wenn dem so ist, dann muss zumindest in vielen Großstädten das Strafgesetzbuch sowie das Jugendgerichtsgesetz an vielen Stellen geändert werden, da es unter Jugendlichen völlig normal geworden ist, Konflikte mit Gewalt zu lösen. Ein Schlag in die Zähne eines anderen kann somit weder straf- noch zivilrechtliche Folgen haben, da es sich um ein von der „Gesellschaft“ anerkanntes, sozial-adäquates Verhalten handelt.

An diesem Beispiel kann man deutlich sehen, dass der Ansatzpunkt, aus der Masse der sich nicht rechtmäßig verhaltenden Nutzer zu schließen, ein Gesetz zu Gunsten dieser sich nicht rechtmäßig verhaltender Personen zu ändern, verfehlt ist.

Ziel muss doch vielmehr sein, das Informationsproblem der Nutzer zu lösen, damit eine Akzeptanz der Rechte Dritter, der Urheber, aufgebaut wird.

2. Schutz des Nutzers durch das Urhebergesetz durch das Recht auf Privatkopien?
In dem Diskussionpapier wird weiter angemerkt, dass sich insbesondere Privatleute, die unbedarft im Internet kommunizieren, der Recherche nach möglichen Rechtsverletzungen aussetzen.

Die Frage ist doch, was heißt unbedarft kommunizieren? Das Internet ist ein Raum, in dem Personen digitale Bewegungen vornehmen. Deswegen ist er nicht per se derart besonders, dass grundsätzliche Regelungen – wie das Urheberrecht – nun nicht mehr gelten würden. Jeder Person ist vollkommen klar, dass sie in einem Geschäft ein Hörbuch nicht einfach mit nach draußen nehmen darf, ohne dafür (das Recht, das Werk zu benutzen) zu bezahlen. Mit welcher Begründung soll dies im Internet anders sein? Dass es für eine Privatperson, die unbedarft surft nicht ersichtlich sei, dass sie eine Urheberrechtsverletzung begehen könnte, wenn sie auf einen Button „download“ drückt? Weil es weniger plastisch ist, als die Verkörperung eines Werkes, wie beim Hörbuch, in Händen zu halten?

Unwissenheit schützt vor Strafe – besser Schadensersatzanspruch – nicht, ist hier das alte und immer noch richtige Sprichwort. Hier hat jemand das Recht eines Dritten verletzt. Punkt. (Die Frage nach der Störerhaftung und offener W-Lan-Netze werde ich an anderer Stelle aufnehmen.)

Die nächste Frage ist, was die Folge einer erlaubten privaten Nutzung und Weiterverbreitung wäre. Sicher, das Problem „Alte arme Dame surft im Internet und bekommt eine Abmahnung ohne zu wissen warum“ wäre erledigt. Doch was passiert auf der anderen Seite, der Seite der Urheber? In den allermeisten Fällen leben die Urheber von der privaten Nutzung Ihrer Werke. Seien es Musikstücke, Hörbücher, Software jeglicher Art oder E-Books. Für den Urheber bedeutet es den gleichen Schaden, ob jemand gewerblich 1.000 Mal eine Software illegal herunterlädt oder ob 1.000 private Nutzer jeweils einmal eine Software downloaden. Jeweils liegt 1.000 Mal der Fall vor, dass der Urheber seine kreative Schaffensleistung nicht monetär verwerten konnte. Für den Urheber ist es demnach also vollkommen gleich, ob gewerbliche Absicht dahinter steht oder nicht.

Als Ausgleichsmöglichkeit führt der Senator eine Kulturflatrate an. Dabei erklärt er jedoch weder, wie eine solche ausgestaltet sein sollte, noch wie damit jemals der Umsatz geschaffen werden soll, der derzeit in den verschiedenen Industrien auf reguläre verdient wird – auch über das Internet.

3. Schutz des Nutzers durch Privatkopien in Bezug auf die Teilhabe am kreativen Schaffensprozess?
Warum der kreative Schaffensprozess von Nutzern und damit ein Innovationsprozess unterbunden wird, wenn diese nicht „privat“ auf urheberrechtlich geschützte Werke zugreifen können, erschließt sich mir persönlich schlichtweg nicht.

Zum einen gibt es mit § 24 UrhG schon die Regelung, dass „ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet  werden darf“. Es muss natürlich tatsächlich ein neues Werk durch einen neuen Schaffensprozess entstehen. Aber laut des Diskussionspapiers geht es doch gerade um die Befürchtung, dass ein „Schaffensprozess“ unterbunden wird, wenn die Werke nicht gemeinfrei für die private Nutzung werden. Wie soll ein solcher Schaffensprozess nur durch das reine Benutzen, Vervielfältigen oder Verbreiten  eines urheberrechtlich geschützten Werkes eines Dritten initiiert werden, bzw. wo wird ein solcher unterbunden, wenn das reine Benutzen etc. weiterhin verboten bleibt?

Darüber hinaus gibt es gerade im Internet die Möglichkeit sehr kostengünstig an den Werken anderer zu partizipieren und so dann mit diesen zu arbeiten. Man denke hier nur bspw. an die äußerst erfolgreiche Fotografie-Plattform fotolia u.ä., auf denen für wenige Cent bzw. EUR Fotografien rechtmäßig erworben werden können.  (Die Frage, ob solche Plattformen den Markt für Berufsfotografen zerstören ist zwar ebenfalls interessant, kann im Rahmen dieses Artikels aber nicht mehr beantwortet werden. 😉 ) Das gleiche Prinzip haben iTunes oder Amazon für die Musikindustrie erfolgreich umgesetzt: Einzelne Dateien können für wenige Cent oder Euro heruntergeladen werden. (Auch hier ist sicher noch nicht alles perfekt, man lese mit Vergügen den amüsanten Artikel von Sascha Lobo zu diesem Thema 😉 ).

Diese Modelle zeigen jedenfalls, dass das Urheberrecht nicht auf verlorenem Posten im WorlWideWeb steht, sondern vielmehr die Durchsetzung und Akzeptanz dessen möglich ist. Es müssen nur ausgetretene Pfade verlassen werden.

Zum anderen bleibt es für den Urheber bei dem schon unter 2. genannten Problem. Werden Werke für privat Zwecke freigegeben, ist nicht mehr zu erkennen, dass sich das Leisten von kreativen Schaffensprozessen noch rechnet. Daran würde auch eine „Kulturflatrate“ nichts ändern können.

4. Kulturflatrate als Ersatz für Verwertungsrechte bei Privaten?
Wirklich nur sehr kurz wird in dem Papier angedeutet, dass über eine mögliche „Kulturflatrate“ ein Ersatz für die bestehenden Verwertungsrechte gegenüber Privaten geschaffen werden könnte. Wie die genau aussehen sollte, darüber wird nicht gesprochen. Ich habe dazu keine umsetzbaren Vorstellungen. Ähnlich wie GEZ-Gebühren? Aber müsste so dann nicht zuvor evaluiert werden, welche Umsätze bspw. allein in der Musikbranche in Deutschland getätigt werden? Und wer wollte diese Summe – auch wenn sie verpflichtend für alle wäre – dann tragen? Schade, dass hierzu nichts weiter ausgeführt wird.

4. Schutz des Nutzers durch Abwälzung der Kosten der Abmahnung auf den Verletzten?
Nach dem Diskussionspapier würden schließlich Internetforen wegen Beschwerden über „missbräuchlichen Abmahnung“ überquellen. Es gebe wahre Abmahnwellen und diesem Geschäft müsse Einhalt geboten werden. Den Ansatz dafür sieht Dr. Steffen darin, die Kosten der 1. Abmahnung künftig dem Verletzten aufzuerlegen.

Da stellt sich mir doch die Frage, woraus hier welche Schlüsse abgeleitet werden. Dr. Till Steffen geht von einem „Akzeptanzproblem“ in der Bevölkerung aus. Wenn man dies einmal voraussetzt, muss man dann nicht hinterfragen, warum die Internetforen wegen beschwerden über „missbräuchliche Abmahnungen“ überquellen? Ich denke, die nicht ausreichend informierten Nutzer vermengen hier schlicht schon im Grundsatz Sachverhalte, so dass es zu diesen verbalen Ausschreitungen gegen die tätigen Anwälte und die Mandanten kommt: Der Begriff „Abmahnanwalt“ bildete sich vor allem deswegen heraus, weil ein Anwalt bis vor kurzem noch – ohne dazu von einem Mandanten beauftragt zu sein! – wettbewerbswidrige Verhaltensweisen wie etwa rechtswidrige Widerrufsbelehrungen eines Ebay-Händlers massenhaft abmahnen und die volle Gebühr dafür einstreichen konnte. Hintergrund dafür war die Auffassung, dass die Abmahnung eine Geschäftsführung ohne Auftrag darstellt, die im Interesse des Geschäftsherrn, also des Ebay-Händlers, durchgeführt wurde. Dem wurde allerdings mit § 12 und insbesondere § 12 Abs. 4 UWG ein Riegel vorgeschoben. Das massenhafte Abmahnen von Wettbewerbsverstößen ohne Mandantenauftrag ist damit kein lohnendes Geschäft mehr.

Diese Geschäftspraxis hat aber dazu geführt, dass bei dem Wort „Abmahnung“ insbesondere private Nutzer sofort an missbräuchliche Verhaltensweisen von Anwälten denken. Hinzukommt die oben schon erläuterte Problematik des tatsächlich bestehenden Akzeptanzproblems, eine rechtswidrige Handlungen begangen und deswegen einer Schadensersatzforderung sowie einem Unterlassungsbegehren ausgesetzt zu sein und genau deswegen auch mit den Gebühren der Anwälten als Verletzer belastet zu sein.

Ferner meinen die in den spezifischen Foren sich zu Wort meldenden Nutzer auch Opfer einer missbräuchlichen Abmahnwelle zu sein, weil sich schließlich etliche andere ebenfalls diesen Abmahnungen ausgesetzt sehen. Dabei verkennen diese Nutzer, dass eben auch Unmengen von Urheberrechtsverletzungen im Bereich der Musik, der Literatur und der (Games-)Software im Internet stattfinden. In den allermeisten Fällen haben solche Abmahnungen im Grundsatz ihre Berechtigung. (Ob in einigen Fällen die Streitwerte und damit der Schadensersatz und die Gebühren zu hoch angesetzt sind, ist eine hiervon strikt zu trennende Frage und wird im Zweifel durch die Gerichte korrigiert!)

Zur Erinnerung: Die Abmahnung ist ein Instrument vorwiegend des Wettbewerbs- und des Urheberrechts, das bei Verletzung eines Rechts der schnellen und kostengünstigen außergerichtlichen Streitschlichtung dienlich sein soll. In Folge dessen werden dem Verletzer zunächst „automatisch“ die Gebühren auferlegt. Erklärt er sich nämlich mit der Abmahnung durch Unterzeichnung der Unterlassungserklärung einverstanden, wird er kostenmäßig schlicht so gestellt, als sei er in einem Prozess die unterlegene Partei, welche stets die Kosten zu tragen hat.

Der Abgemahnte ist auch nicht rechtschutzlos. Er kann die Berechtigung der Abmahnung und damit die Kostentragungspflicht bestreiten. Ferner kann er sich überhaupt nicht äußern und so dann die Klagerhebung bzw. zunächst das einstweilige Rechtsschutzverfahren abwarten und sich in diesem entsprechend verteidigen. Obsiegt der vermeintliche Verletzer hat der vermeintlich Verletzte die Kosten zu tragen.

Dem Verletzten jedoch die Kosten der Abmahnung aufzuerlegen, führt das Instrument der Abmahnung ad absurdum. Der Verletzte wäre gezwungen, in jedem einzelnen Fall das gerichtliche Verfahren zu bemühen, um seine Kosten ersetzt zu bekommen. Diese Kosten sind dann im Gesamtergebnis natürlich wesentlich höher, als wären nur die Abmahnkosten von dem Verletzer zu tragen.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob damit nicht noch mehr Urheber oder kleinere Verwerter wie Independent Labels benachteiligt werden. Ihnen ist es wirtschaftlich vermutlich gar nicht möglich, die Kosten für eine Verfolgung ihrer Rechteverletzung „vorzustrecken“ (wie es bei der Übernahme der Kosten für die Abmahnung der Fall wäre). Damit würden Sie letztlich zwar noch über eines Urheber- bzw. Verwertungsrecht verfügen – jedoch wäre die Durchsetzung dessen faktisch unmöglich.

Davon abgesehen würden die Gerichte zumindest von Seiten der Major Labels mit einer Flut von Verfahren überzogen, die vermutlich kaum noch zu händeln wäre.

Der Nutzer ist damit also nicht dahingehend schutzbedürftig als er von der Tragung der Abmahnkosten befreit werden müsste. Der Nutzer gilt in diesem Fall zunächst mal als Verletzer. Schon deswegen ist das Tragen der Kosten gerechtfertigt. Das Abwälzen der Kosten würde zudem das Instrument der Abmahnung ad absurdum führen, unabhängigen Urheber und kleinere Verwerter würde die Rechtsverfolgung einerseits faktisch unmöglich gemacht und andererseits würden sich die Gerichte einer Flut von Klagen durch die Major Label ausgesetzt sehen.

5. Reduktion des Schutzes von „Alltags-Fotografie“?
Bisher ist jede Form der Fotografie urheberrechtlich umfassend geschützt. Das Diskussionspapier streitet nun dafür, diesen Schutz für „Alltags-Fotografien“, insbesondere wenn Sie allgemein zugänglich sind, erheblich zu reduzieren (wie genau, dazu enthält das Papier keine Aussage). Als Grund wird wiederum die technische Entwicklung der Fotografie angeführt. Es handele sich mittlerweile um eine allgemein übliche und einfache Technik, so dass der bisherige Schutz zu weit gehend sei: „Schüler, die banale Fotos in ihre sozialen Netzwerke einstellen oder Eltern, die ihren nicht mehr benötigten Kinderwagen in einem Verkaufsportal anbieten und dabei auf ein einfach im Netz verfügbares Produktfoto zurückgreifen, sollen sich nicht länger kostenpflichtigen Abmahnungen ausgesetzt sehen“.

Auch dieser Ansatz verkennt wieder gegebene Realitäten.

Konzentrieren wir uns zunächst auf das Kinderwagen-Beispiel. Urheberrechtlich ist es vollkommen gleichgültig, ob ein Bild „einfach zu erlangen“ ist. Entscheidend ist nur, dass es sich um ein Werk im urheberrechtlichen Sinn handelt.  Zu berücksichtigen ist insbesondere in solch einem Fall, dass die Produktfotografie für Markenprodukte eine aufwendige Auftragsfotografie darstellt und die umfänglichen Verwertungsrechte an diesen Bilder zumeist teuer von den Unternehmen erkauft werden. Hinzutritt, dass die Eltern mit ihrem gebrauchten Kinderwagen in Konkurrenz zu den Neuprodukten des Herstellers treten. Da kann es wohl kaum sein, dass dieser es hinnehmen muss, wenn mit dem teuer bezahlten Foto des Neuprodukts für einen – vielleicht sehr gut erhaltenen  – Kinderwagen von Privat geworben wird. Abgesehen von der Rechtsverletzung iBa die Fotografie sollte schon aus diesem „wettbewerbsrechtlichen“ Gedanken die Verfolgung der Urheberrechtsverletzung möglich bleiben. (Ja, auch bei Privatverkauf! 100 Privatverkäufe mit dem Originalfoto sind auch aus wettbewerbsrechtlicher Sicht irgendwann problematisch, auch wenn das nicht über das UWG angegriffen werden kann!) Und wenn gar noch der eigenen Argumentation der Justizbehörde Hamburg gefolgt wird, dass die Fotografie eine derart einfach zu handhabende Technik sei, dann kann es von den Eltern wohl nicht zuviel verlangt sein, einen Schnappschuss mit der Digitalkamera selbst aufzunehmen und einzustellen.

Zum anderen verkennt das Diskussionspapier die Bedeutung von Social Media Netzwerken für Unternehmen zum Nachteil von privaten Nutzern! Gerade vor kurzem schlugen die Wogen hoch, als bekannt wurde, dass Facebook sich per AGB die Rechte an hochgeladenen und nicht als privat gekennzeichnetet Bildern vorbehält. Wenn nun in Deutschland die „Alltags-Fotografie“ nicht mehr als schützenswert betrachtet wird, sind solche Bilder für Unternehmen gemeinfrei. Alltags-Bilder seien nicht von Interesse für Unternehmen?

Man stelle sich nur folgenden Fall vor: Eine Joggerin kommt nach einem harten Winterlauf nach Hause und lichtet stolz ihren verschlammten und verkrusteten Nike-Sportschuh ab, um ihn mit der entsprechenden aktuellen Laufzeit und einem weiteren Kommentar in ein Social Media Netzwerk zu stellen. Und zufällig … ist genau dieses Foto mit der Logo-Konzentration und den Lichtverhältnissen das Bild, was die neue authentische Viral-Kampagne von Nike brauchte! Für Nike kein Problem, das Bild ist schließlich als „Alltags-Fotografie“ gemeinfrei. Und was kann die Joggerin tun? Nicht viel. Vermutlich wird  Nike jedenfalls den längeren Atem haben, um einen um die Frage der Allgemein-Fotografie geführten Prozess durchzustehen. Im Zweifel sieht die Joggerin ihr Bild mannigfach im Netz und im Fernsehen – ohne an diesem Erfolg auch nur im Ansatz partizipieren zu können.

Und mit diesem Fall kommen wir auch schon zur nächsten kritischen Frage: Wann ist ein Foto eine „Alltags-Fotografie“? An welchen Merkmalen ist dies festzumachen? Fakt ist wohl, dass sich nach einiger Zeit eine Rechtssprechung durchsetzen wird, die aber – Natur der Sache – nie konsistent und für Verbraucher oder Unternehmen durchschaubar sein wird. Eine solche „Lösung“ führt nur zu anstrengenden Folgeproblem. Das Problem an sich ist doch vielmehr, dass die Streitwerte für Fotografien oftmals als viel zu hoch angesetzt werden – da diese tatsächlich mitunter noch einem Zeitalter entstammen als nahezu jedes Foto eine große, komplexe Leistung darstellten. Dabei wäre es doch weitaus einfacher die Streitwerte im Grundsatz für Fotografien herunterzusetzen und es dem Urheber oder Inhaber der Nutzungsrechte zu überlassen zu beweisen, dass hier im konkreten Fall ein wesentlich höherer Streitwert gegeben ist!

Keine gute Idee!
Insgesamt lässt sich meines Erachtens nur festhalten, dass in dem Diskussionspapier der Hamburger Justizbehörde zwar interessante Gedankengänge finden. Jedoch betrachtet es von einem als kritisch zu sehenden Ansatzpunkten aus einseitig die derzeitigen Probleme von privaten Nutzern, die sich mangels Aufklärung bei Rechtsverletzungen ungerecht behandelt fühlen. Einen wahren Interessensausgleich, den dieses Papier laut Eigenaussage mit der Verwirklichung der vorgetragenen Ideen anstrebt, kann ich nicht erkennen. Auch die Bedürfnisse von Urhebern änderns sich im digitalen Zeitalter. Diesem Umstand trägt das Papier leider keine Rechnung.

Am 06. Juli 2010 wird mit dem Präses der Justitzbehörde Dr. Till Steffen und dem Rechtsanwalt der Sozietät Hogan Lovells, Dr. Stefan Engels, eine Podiumsdiskussion im Gästehaus der Universität zum Thema „Perspektivwechsel im Urheberrecht“ stattfinden.  Veranstaltet wird diese vom Hans-Bredow-Institut, der Universität Hamburg und in diesem Fall Hogan Lovells. Ich werde dort hingehen und vielleicht bringt sie etwas Licht ins Dunkel!

PS: Es finden sich noch weitere diskussionswürdige Punkte in dem Papier – aber alle konnte ich nicht aufnehmen. Es sollte hier schließlich kein Roman werden… Ggf. viel Vergnügen beim selber Nachlesen und Nachdenken. 🙂